Steht Ihr Plan für 2020 noch? Oder mussten Sie schon neu priorisieren?
In den letzten Monaten hatte ich Gelegenheit, etwas eingehender über das Thema Priorisierung nachzudenken. Wäre es nicht schön, wenn wir immer die richtigen Prioritätsentscheidungen treffen könnten? Wir würden dann in jedem Moment das langfristig und wirtschaftlich Sinnvollste tun und wären um Längen besser als der Wettbewerb, wo Verzögerungskosten meist ignoriert werden, politische Erwägungen oft ausschlaggebend sind und kurzfristiges Denken dominiert.
In der Realität können wir keine perfekten Entscheidungen treffen, weil wir es immer mit Unsicherheit zu tun haben: Verzögerungskosten, Aufwand und ROI kann man leider nur mehr oder weniger genau schätzen. Wenn man Glück hat, sind die Unsicherheitsbereiche nicht überlappend, und es ist leicht sich zwischen den Alternativen zu entscheiden – so wie hier:
Projekt Alpha ist der klare Gewinner, weil sein Unsicherheitsbereich (200.000-250.000) weit oberhalb dessen von Projekt Omega (30.000-50.000) liegt.
Allzu oft fällt (jedenfalls in der ersten Priorisierungs-Runde) die Entscheidung schwerer. Welches Vorhaben sollen wir zuerst starten:
Beide gleichzeitig zu starten ist meist die falsche Antwort. Am besten versuchen wir, die Unsicherheitsbereiche weiter einzugrenzen, damit die Entscheidung klar zugunsten einer Alternative ausfallen kann. Eine Ebene unterhalb von Projekten (Features, Epics) ist es dasselbe Spiel, wir müssen mit Unsicherheit leben.
Über den rationalen Umgang mit Unsicherheit gibt es noch Einiges zu sagen, ich will heute aber noch einen Schritt zurück gehen und zunächst fragen:
Ist Priorisierung immer notwendig und sinnvoll?
Es hängt von den jeweiligen Vorhaben und Alternativen ab, ob der Aufwand für die Priorisierung sich lohnt. Ich sehe da drei Bereiche:
1. Bereich: Das machen wir auf jeden Fall.
Wir wollen bzw. müssen etwas machen, und haben uns lange vorher (pauschal) darauf geeinigt. Beispiele aus der Rubrik “Das wollen wir sowieso”:
Hier kann man natürlich zuviel des Guten tun. Daher wird man den Ressourcen-Einsatz pauschal begrenzen, etwa mit einem Weiterbildungs-Budget.
Dann gibt es die Rubrik “Müssen wir auf jeden Fall tun”, etwa
2. Bereich: Das priorisieren wir.
Hierher gehören die meisten “normalen” Projekte, bei denen wir uns entscheiden können, das Eine zu tun und das Andere zu lassen.
Dabei ist überraschend, wie oft nach Bauchgefühl (oder nach politischen Erwägungen oder kurzfristigen Dringlichkeiten) entschieden wird. Ein Faktor ist die oben dargestellte Unsicherheit, die u.a. zu der Einstellung führt: “Wir wissen es nicht genau, und können es auch nicht genauer wissen, also gehen wir nach Bauchgefühl”.
Ich empfehle einen möglichst nüchternen Umgang mit der Unsicherheit:
Wenn es Sie interessiert, können Sie mehr dazu finden im White Paper Applied Information economics (Hubbard Decision Research, 14 Seiten PDF). Dort geht es explizit um rationale ökonomische Entscheidungen zu IT-Projekten. Im Buch How to Measure Anything - Finding the Value of Intangibles in Business von Douglas W. Hubbard wird eine ganze Methodik zur systematischen Verringerung von Unsicherheit entwickelt.
3. Bereich: Anfangen ist die beste Priorisierung
Manchmal ist “einfach anfangen” die billigste und schnellste Methode, um Unsicherheit zu bewältigen. D.h. wir gehen das Problem oder die Innovation an, statt noch länger über vermutlichen Aufwand und potenziellen Nutzen zu diskutieren.
Im Kleinen:
Im Großen:
Zu diesem dritten Bereich gehören auch Schwarze Schwäne und das Zitat von Alan Kay: “The best way to predict the future is to invent it.”
Die richtige Balance finden
Ich finde es interessant, Orgnisationen unter dem Blickwinkel ihrer Priorisierung zu betrachten. Ein ungünstige Gewichtung in den obigen drei Bereichen führt zu den wohlbekannten Symptomen: Wo zuviel im ersten Bereich (“Machen wir auf jeden Fall”) landet, gibt es Klagen über starre Prozesse und einengende Vorgaben “von oben”. Wo immer alles ausführlich priorisiert werden muss, verlieren innovative Vorhaben mit großer Unsicherheit gegen die gut vorhersehbaren mittelmäßigen Initiativen. Und schließlich findet man die “Just do it”-Mentalität (3. Bereich) in Startups, die genau daraus ihre hohe Geschwindigkeit beziehen, aber später unter Wachstumsschmerzen leiden bzw. an zu wenig Struktur scheitern.
Matthias Berth