Statt über’s Scheitern sollten wir ja lieber über das Schaffen von Abbruchoptionen” reden. Solche Optionen haben einen Wert, den man dann aufrechnen kann gegen die Kosten für das Schaffen der Option.
Ich hatten gestern erklärt, wie man sich eine Abbruchoption schaffen kann, nach der Faustregel “Aus einem Projekt mache zwei Phasen, in Phase 1 konzentriere das Risiko, in Phase 2 den Aufwand”.
Den Wert der Abbruchoption (Phase 2 nicht durchführen) kann man auch einfach so berechnen:
Wert der Option = Wahrscheinlichkeit des Scheiterns * ggf. eingesparte Kosten
Wenn ich mit 30% Wahrscheinlichkeit die letzten 100 Geldeinheiten an Kosten vermeiden kann,
dann ist das 30% * 100 = 30
Geldeinheiten (z.B. Personenmonate) wert.
An dieser Formel sieht man schon eine Grundregel für die Bewertung von Optionen:
Je größer die Volatilität, desto wertvoller ist eine Option (Ich meine mit Volatilität hier ganz allgemein die Schwankungsbreite der möglichen Ergebnisse, Sie können auch Risiko des Scheiterns einsetzen.) Viele “klassische” Methodiken des Projektmanagements versuchen, die Volatilität herunterzudrücken: wenn wir nur streng genug in der Anwendung der Methodik sind, alle Gremien regelmäßig tagen und das Projektcontrolling gut funktioniert, dann wird das Projekt erfolgreich sein.
Agiles Vorgehen hingegen kann man interpretieren als Maximierung der Erfolgsaussichten durch das Schaffen von Optionen. Weil wir bei jeder Iteration voll funktionsfähige Software liefern, hat der Auftraggeber nach jeder Iteration eine Abbruchoption. Er hat auch eine Erweiterungsoption (“Option to expand”), wenn nämlich ein Feature unerwartet wertvoll wird, kann er gleich in der nächsten Iteration mehr davon bestellen.
Dasselbe Prinzip gibt es beim Lean Startup: Hypothesen zum Geschäftsmodell werden mit einem “Minimum Viable Product” (MVP) validiert. Das MVP ist eine Abbruchoption für unsere derzeitige Hypothese zu einem funktionierenden Geschäftsmodell. Wir konzentrieren uns bei der Validierung auf diejenigen Annahmen, die am meisten Risiko haben. Die Option ist also billig zu haben (das minimum viable product), und viel wert, weil wir möglichst viel von dem Risiko nach vorne verlagern (hohe Volatilität).
Man kann das auch in’s Positive wenden: Aus Sicht eines Venture-Kapitalgebers ist jedes Startup in seinem Portfolio eine Option darauf, am nächsten Facebook beteiligt zu sein. Die Unsicherheit wird kompensiert durch stufenweise Investitionen: im Fall des erfolgreichen Startups steigt mit jeder Finanzierungsrunde die Unternehmensbewertung und damit der Wert der Option. Parallel dazu verfällt ein Großteil der Optionen wertlos, weil sich nach ein paar Jahren herausstellt, dass das einst so vielversprechende Startup sich nur mittelmäßig entwickelt bzw. pleite geht.
Abgesehen von den Grundregeln gibt es exakte Formeln für die Bewertung unterschiedlicher Optionen, z.B. auch mit variablem Zeitpunkt der Ausübung (“amerikanische Optionen”). Eine Frage ist natürlich immer, woher man die Wahrscheinlichkeiten bzw. die Volatilität bekommt, die in die Formeln eingesetzt werden müssen. Da kann man sich an historischen Daten orientieren, was natürlich für die Zukunft nur begrenzt aussagefähig ist.
Das Video The Essence of Real Options gibt einen guten Überblick über Realoptionen, aus der Perspektive der Unternehmensbewertung.
Matthias Berth