Haben Sie schon mal ein Projekt versenkt? Ich erinnere mich an einen Fall, der ungefähr 40000 Euro gekostet hat. es war eines von diesen “wir versuchen mal was – in der Hoffnung, dass wir damit Kunden begeistern können”. Nur leider stellte sich nach 40000 Euro Entwicklungskosten immer noch keine Begeisterung ein. Das sind Peanuts im Vergleich zu den achtstelligen Summen, die z.B eine missglückte SAP-Einführung kosten kann. Trotzdem hat es ganz schön wehgetan, sich das Scheitern einzugestehen.
Am Anfang einer Neuentwicklung sind alle optimistisch, es gibt so viele Ideen. Jetzt das Risiko des Scheiterns thematisieren? Das will niemand, man wäre ja auch kein guter Teamplayer. (“Wie sollen wir mit einer IT-Abteilung zusammenarbeiten, die laut über das Scheitern des Projekts nachdenkt? Verstehen die ihr Handwerk nicht? Wir wissen doch, was wir brauchen.”)
Statt von Scheitern sollten Sie lieber von Optionen reden, von mehrstufigen Investitionen oder Abbruchoptionen. Diese Optionen haben einen realen Wert, und durch geschicktes Scope-Management kann man solche Optionen – und damit zusätzlichen Wert – schaffen.
Ich will heute eine einfache Option erklären: die Abbruchoption, also die Möglichkeit, ein Projekt abzubrechen, bevor das ganze Geld ausgegeben ist. Um so eine Abbruchoption zu bekommen, kann man das Projekt in zwei Phasen aufteilen:
Ich habe das stark vereinfacht, um das Prinzip zu erklären. Wir können auch sagen: “Aus einem Projekt mach zwei, in Phase 1 konzentriere das Risiko, in Phase 2 den Aufwand”.
Die Abbruchoption fällt selten vom Himmel. Ein Projekt so zu strukturieren macht Arbeit, es wird also meist teurer, als alles auf einmal zu bestellen. Gängigen Bedenken sind zum Beispiel “Aber wir müssen doch das ganze Paket sowieso irgendwann machen!” oder “Besser wir bedenken jetzt den ganzen Funktionsumfang beim Entwurf des Systems, dann machen wir es gleich im ersten Anlauf richtig.”
In der Sprache der Optionen ausgedrückt: Statt das gesamte Budget auf einmal auszugeben, kaufe ich Phase 1 und eine Option darauf, auch noch Phase 2 durchzuführen. Ich verringere mit der Option den Verlust im Falle des Scheiterns, weil ich ja in Phase 2 nicht mehr investieren muss. Die entscheidende Frage lautet nun: Wieviel sollte mir diese Option wert sein?
An der Börse werden Optionsscheine laufend gehandelt, da kann ich mich z.B. gegen einen Kursverlust der Adidas-Aktie versichern, indem ich sogenannte Put-Optionen kaufe. Es gibt also an den Finanzmärkten einen Marktpreis für die Option und etablierte Modelle zur Bewertung. Die Bewertungsverfahren wurden in den 1970er Jahren auf Entscheidungen im geschäftsleben übertragen, die zugehörige Theorie heißt Realoptionsanalyse (Real Options Valuation).
Ich will den Wert der Abbruchoption mal an einem einfachen Beispiel durchrechnen: Ein Projekt soll über zwei Jahre entwickelt werden, kostet pro Jahr 100 Geldeinheiten (vielleicht Personenmonate, oder Kilo-Euros) und bringt ab dem zweiten Jahr einen Nutzen von 200 Geldeinheiten. Zur Vereinfachung betrachten wir nur die nächsten drei Jahre:
Im Erfolgsfall bekommen wir also einen Wert vom 200 Geldeinheiten, denn es kostet 2*100 und bringt 100+300. (Man sollte diese Beträge eigentlich abzinsen, um Zahlungen in verschiedenen Jahren vergleichbar zu machen.) Wenn das Projekt scheitert, bekommen wir einen negativen Wert von -200 (nur die Kosten, keinen Nutzen).
Wir sehen uns zwei Arten an, wie man diese Investition strukturieren kann:
Intuitiv wissen wir, dass die abgestufte Investition mindestens so gut wie die “Alles auf einmal”-Variante ist. Aber wieviel besser ist sie? Wir können das durchrechnen, wenn wir eine Wahrscheinlichkeit für den Projekterfolg zugrundelegen. Nehmen wir mal 70% Erfolgswahrscheinlichkeit an. Wenn wir alles auf einmal investieren gilt
Erwarteter Wert = 0,7 * (Wert im Erfolgsfall) + 0,3 * (Wert im Fall des Scheiterns)
= 0,7 * 200 + 0,3 * -200
= 80
Wenn wir abgestuft vorgehen, können wir Kosten im Fall des Scheiterns sparen:
Erwarteter Wert = 0,7 * (Wert im Erfolgsfall) + 0,3 * (Wert im Fall des Scheiterns)
= 0,7 * 200 + 0,3 * -100
= 110
Die Option erhöht also den erwarteten Wert von 80 auf 110. Damit ist sie 30 Geldeinheiten wert.
Wir könnten uns also bis zu 30 Geldeinheiten (z.B. Personenmonate) zusätzlichen Aufwand leisten, um die Abbruchoption zu schaffen. Das sind 15% der Gesamtkosten des Projekts, also eine ganze Menge Spielraum. Diesen Spielraum können wir nutzen, um Mehrkosten der Option abzufangen, wie zum Beispiel
Der normale Dienstleister wird Ihnen kaum dabei helfen, die dafür nötigen Abwägungen zu machen, denn sein erwarteter Nutzen ist bei der “Alles auf einmal”-Variante am größten. Das ist ein weiterer Grund dafür, das Scope Management im Haus zu behalten und hoch genug anzusiedeln.
Wollen Sie noch mehr Beispiele zur Bewertung von Optionen im Projektgeschäft sehen? Dann anworten Sie bitte auf diese Email. Auf jeden Fall gibt es morgen noch ein paar allgemeine Hinweise, wie man Entscheidungen mit der “Optionsperspektive” unterstützen kann.
Matthias Berth