Kennen Sie die Geschichte von Tony Rinaudo, dem Träger des Right Livelihood Award (“Alternativer Nobelpreis”) 2018? Diese Geschichte hat einige faszinierende Lehren für alle, die irgendeine Veränderung zum Besseren erreichen wollen.
Rinaudo war Entwicklungshelfer in Niger, einem armen Land südlich der Sahara. Wie überall in der Sahelzone ging der Baumbestand immer weiter zurück. Frauen und Kinder mussten stundenlang laufen, um an Feuerholz zu kommen. Durch den Holzmangel gehen die Baumbestände noch weiter zurück, die Leute verwenden z.T. den Dung ihrer Kühe und Ziegen, um überhaupt Brennmaterial zu haben.
Nigers Regierung reagiert seit einem halben Jahrhundert mit staatlichen Wiederaufforstungsprogrammen. Die neu angepflanzten Bäume überleben nur wenige Jahre, dann gehen sie ein wegen Trockenheit, oder weil sie aus Not abgeholzt werden oder weil das Vieh sie frisst. Man macht Propaganda-Aktionen, stellt das Abholzen unter Strafe usw. Nichts funktioniert, der Baumbestand geht immer weiter zurück. Immer häufiger kommt es zu Hungersnöten, weil das Mikroklima auf den Feldern schlechter wird und die Böden in der Regenzeit das Wasser nicht mehr halten. Die Lage ist also ziemlich hoffnungslos, so wie man das hier aus dem Fernsehen kennt.
Tony Rinaudo ist Australier, der jahrelang für eine Entwicklungshilfeorganisation in Niger tätig war. Er macht eines Tages eine folgenschwere Beobachtung: Einige von den kleinen grünen Fleckchen, die auf den kargen Feldern zu sehen sind, sind nicht irgendein verkümmertes Buschwerk, sondern Bäume. Überall im nahezu verwüsteten Boden sind nämlich noch die Wurzeln und Stümpfe der abgeholzten Bäume. Sie bilden kleine Büschel aus Trieben, die durch das noch vorhandene Wurzelwerk Zugang zu Feuchtigkeit tief unter der Erde haben. Nur weil die Triebe von den Ziegen und Kühen der Bauern immer wieder abgeweidet werden, bleiben sie verkümmert.
Man muss also gar keine neuen Bäume pflanzen – man muss nur dafür sorgen, dass die Triebe, die nach jeder Regenzeit auf den Feldern aus der Erde kommen, zu richtigen Bäumen heranwachsen können.
Die Methode heißt “Farmer Managed Natural Regeneration” (FMNR):
“Der Bauer muss, um sein Land wieder zu begrünen, keine neuen Bäume pflanzen. Er muss lediglich einige Baumtriebe erhalten. Er muss diese Triebe vor Ziegen und Feuer schützen und sie regelmäßig beschneiden – was er nebenbei tun kann während der Feldarbeit. Dann hat der Bauer nach drei, vier Jahren neue Bäume, die bestens an das lokale Klima und die lokalen Böden angepasst sind. Diese Technik, im Untergrund bereits vorhandene Bäume zu regenerieren, ist auch viel kostengünstiger als neue Setzlinge zu pflanzen.“ (300 Millionen Bäume aufziehen, Deutschlandfunk Kultur, 24.9.2018)
Schon nach einem bis zwei Jahren gibt es Feuerholz, das abgeerntet werden kann, später auch Bauholz, essbare Früchte und Nüsse u.s.w. Die Bäume verbessern das Mikroklima und führen so zu wesentlich besseren Erträgen in der Landwirtschaft. Die Abwärtsspirale aus wachsender Not und weiterer Abholzung wird aufgehalten.
So einfach wie es hier klingt, war es natürlich für Tony Rinaudo nicht, diese Idee in die Tat umzusetzen. Volker Schlöndorff will übrigens einen Dokumentarfilm darüber drehen.
Ich will nur diesen einen Gesichtspunkt herausgreifen, der mich an dieser Geschichte zuerst beeindruckt hat… Statt sich zu fragen “Was können wir tun, um unsere Ziele zu erreichen” (mit großem Aufwand neue Bäume pflanzen), kann man auch fragen:
Was können wir lassen?
Wenn also viel gut gemeintes Tun gescheitert ist, kann man es mal mit Lassen versuchen.
Unsere Leute sind nicht innovativ! Was tut unsere Organisation denn regelmäßig und systematisch, um junge unscheinbare Innovationen am Wachsen zu hindern?
Die Leute wollen einfach nicht agil arbeiten! Wie wird es ihnen denn immer wieder abgewöhnt, regelmäßig und in kleinen Schritten bessere Software zu liefern?
Die Code-Qualität ist schlecht! Wie werden denn Verbesserungen (Refactoring, Unit Testing, …) behindert?
Wir finden keine guten Leute! Warum kündigen denn die guten? Wie werden Mitarbeiter daran gehindert, sich weiterzuentwickeln?
Wenn Sie mehr über Farmer Managed Natural Regeneration und die Geschichte dahinter erfahren wollen:
Matthias Berth