Wir haben schon öfter die fehlende Verantwortungsübernahme als Bremse im Software-Lieferprozess identifiziert. Eine beliebte Methode, um Verantwortung zu vermeiden, ist das Delegieren von Entscheidungen.
In einem aktuellen Fall ging es um eine App für Kundenberater im stationären Geschäft. Ein Kundenberater sollte mit Hilfe der App fehlende Ware für den Endkunden online bestellen können. Sowohl der in der Filiale getätigte Einkauf als auch die Online-Bestellung sollten vom Kunden direkt bezahlt werden.
Soweit, so gut – nun werden fachliche Entscheidungen zum Inhalt, zur Benutzer-Oberflächengestaltung und zum Prozess-Ablauf verlangt. Wo soll der zusätzliche Umsatz ausgewiesen werden? In der Filiale (mit oder ohne Verkaufsprämie?) oder im Online-Kanal? Wie verläuft die Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde? U.a. wann und wie bestätigt der Kunde den Online-Auftrag? Welche Rolle sollen die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) spielen? Und so weiter …
Jetzt wird es spannend: statt Entscheidungen zu treffen, zieht man weitere Fachbereiche hinzu.
Hier bieten sich die Rechtsabteilung und Buchhaltung an, denn selten geht es ohne. Gerne wird eine Entscheidung an eben diese Bereiche delegiert, um Zeit zu gewinnen oder um sich selbst nicht festlegen zu müssen. Welcher Beweggrund auch immer relevant ist, es gilt als sicher, dass es grundsätzliche Bedenken der Juristen gibt, die erst geprüft werden müssen. Gerade die Rechtsabteilungen raten ja gerne davon ab, irgendetwas ohne “externe” Prüfung umzusetzen und vom bisherigen “IST-Zustand” abzuweichen.
Wenn man die Buchhaltung fragt, bekommt man eine ähnliche Rückmeldung. Allzu oft hören wir auch hier als erste impulsive Antwort: “Wenn der Buchungsstoff sich nicht ändert ist alles gut - das habt Ihr doch sicher geprüft?”. Da der Buchungsstoff jedoch meist von der Buchhaltung selbst geprüft wird, entsteht hier ein “Zirkelbezug” und in der Konsequenz mindestens eine Verzögerung.
Bezogen auf den Workflow und die Anwenderfreundlichkeit (UI/UX-Design) bedeutet die rechtliche und buchhalterische Gestaltung nichts Gutes. Denn selten passen Buchungsflüsse und rechtliche Hinweise zur intuitiven Nutzung durch die Kunden.
Um Zeit und Aufwand in der Entwicklung und Fachkonzeption zu sparen, empfehlen wir daher folgende Grundregeln:
Fachliche Entscheidungen sollten nicht delegiert werden. Zuerst solletn Sie die für den Endkunden bequemste Benutzung konzipieren: Wie kann die Website bzw. App einen Mehrwert für den Endnutzer bringen? Ist die Bedienung einfach für den Nutzer, z.B. intuitiv? Macht die Interaktion Spaß?
Falls Freigaben durch Buchhaltung und Rechtsabteilung notwendig sind, muss den Kollegen zwingend der vollständige Kontext erklärt werden. Häufig entscheidet nämlich die Fragestellung über die Antwort! Nicht selten lassen sich gemeinsam gute Lösungen finden, sobald die Notwendigkeit und der gesamte Prozess allen Beteiligten klar sind.
Vergessen Sie nicht, dass es auch technische Abläufe/Workflows gibt, die ebenfalls das fachliche Design beeinflussen können.
Pauschale Fragen aber auch pauschale Antworten, wie im obigen Beispiel geschildert, sind keine Alternative und müssen konsequent hinterfragt werden.
Bitte nehmen Sie sich hier ausreichend Zeit, bevor Sie die Anforderungen abschließen und in die Entwicklung einsteigen. Auch eine Anwendung, die rechtlich und buchhalterisch wasserdicht ist, ist Verschwendung wenn der Kunde sie nur umständlich bedienen kann!
Christoph Lefkes