[SL] Variantenmatrix – der Blick auf das Wesentliche

Zuletzt bin ich häufig in Projekten unterwegs, die im Zusammenhang mit Anforderungen in Schieflage geraten sind. Trotz hohem Einsatz aller Beteiligten entsteht ein Ergebnis mit wenig (Kunden)nutzen, oder es dauert bis zur (ersten) Lieferung schlicht zu lange. Oft sind meiner Erfahrung nach nicht die Inhalte die Ursache des Problems, sondern vielmehr Punkte wie:

Dies ist der erste von mehreren Teilen, in denen ich Ihnen einfache Möglichkeiten an die Hand gebe, um mit Hilfe von etwas Struktur zielorientierte Entscheidungen zu Anforderungen zu treffen.

In diesem Teil möchte ich gern auf die “Variantenmatrix - der Blick auf das Wesentliche” eingehen.

Es ist ein trüber Frühjahrsnachmittag, als ich in an einer Projektroutine mit Fachexperten teilnehmen darf. Das Projekt, das hier Thema ist, befindet sich nach einhelliger Meinung mitten in der Umsetzung und ich bin zunächst begeistert, dass man all diese Fachexpertise gleichzeitig in einem Raum versammeln konnte.

Die Sitzung startet mit einer Liste offener Punkte und entgleitet innerhalb von Minuten zu einer wilden Diskussion. Dabei werden die Diskussionspunkte und Ebenen schneller gewechselt als die Reifen eines Formel 1 Rennwagens. Die Projektziele scheinen gemeinhin verstanden und akzeptiert zu sein, der daraus abgeleitete Projektscope und die zugehörigen Prioritäten sind es definitiv nicht.

Um die Diskussion zu strukturieren, schlage ich eine Variantenmatrix vor und frage nach variantenbildenden Merkmalen. Das sind Merkmale, deren Ausprägungen den besprochenen Prozess in seinem Ablauf ändern. So erfahre ich, dass es für den betrachteten Prozess einen Unterschied bedeutet, ob der Lieferant in Deutschland, in der europäischen Union oder in einem so genannten Drittland sitzt. Auch wo der Kunde zu Hause ist, spielt eine maßgebliche Rolle.

Nun kann die Besetzung der Runde ihre volle Stärke ausspielen und nach ein paar Minuten haben wir neben dem “Standort des Lieferanten (Lager)” und dem “Standort des Kunden” sechs weitere wesentliche Merkmale und deren Ausprägungen identifiziert. Im Folgenden kombinieren wir die Ausprägungen dieser variantenbildenden Merkmale so, wie der Prozess auch im Geschäftsalltag ablaufen kann bzw. soll. Zudem bringen wir die Varianten im Hinblick auf das avisierte Umsatzvolumen in eine eindeutige Reihenfolge.

Folgende Erkenntnisse ergeben sich aus dem Ergebnis dieser priorisierten Variantenmatrix:

  1. Es sind 156 Prozess-Varianten aus Sicht des Business möglich.
  2. Das umsetzende IT-Projekt berücksichtigt mit wenigen Ausnahmen lediglich eine Variante, die aber glücklicherweise auf Platz 1 priorisiert ist.
  3. Die Gruppe ist unsicher, ob alle variantenbildenden Merkmale erfasst wurde, fühlt sich aber mit Blick auf das 80/20 Pareto-Prinzip sicher, die wichtigsten identifiziert zu haben.

Trotz der 80%-Sicht auf die Prozess-Varianten ist die Gruppe nun der Meinung, einen klareren Blick auf den Projektscope zu haben und leitet daraus folgende Prinzipien ab:

  1. Priorität in der Umsetzung – der Blick auf das Wesentliche: Der Fokus der Umsetzung soll auf der ersten Variante liegen. Darüber hinaus wird die Prämisse formuliert, dass die Umsetzungsgeschwindigkeit mit den Folgevarianten zunimmt.

  2. Scope-Reduktion: Die Kollegen aus dem Business entscheiden in einer nachgelagerten Nutzenbetrachtung, dass nur knapp 50 der 156 Varianten umgesetzt werden sollen.

  3. Klare Kommunikation: Die Runde der aktiven Stakeholder wurde vorübergehend verkleinert, da viele der Ausnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden sollen. Dies ermöglicht eine deutlich zielgerichtete und effiziente Diskussion.

  4. Lernen und iterative Anpassungen: Die Variantenmatrix wird inhaltlich und bzgl. der Prioritäten regelmäßig angepasst, aber immer auf Basis der im Projekt gesammelten Erfahrungen.

Im Ergebnis konnte Variante 1 nach der Hälfte der ursprünglich veranschlagten Projektdauer geliefert werden. Die Prämisse zur Steigerung der Umsetzungsgeschwindigkeit in den Folgevarianten bewahrheitete sich und die 50 Varianten konnten in exponentiell wachsender Geschwindigkeit realisiert werden.

Im Fazit eignet sich die Variantenmatrix hervorragend als Struktur- und Kommunikationselement, um Anforderungen sichtbar zu machen und Entscheidungen bzgl. Scoping und Priorisierungen herbeizuführen.

Probieren Sie es aus und teilen Sie mir gern Ihre Erfahrungen mit!

Frank Wollert

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