Wir sprechen hier immer wieder davon, dass möglichst kurze Durchlaufzeiten erstrebenswert sind. Ich erinnere mich noch gut an meine Reaktion als ich diese Maxime vor 15 Jahren zum ersten Mal las: Völliges Unverständnis. Warum soll ausgerechnet die Durchlaufzeit (cycle time) so wichtig sein? Es gibt ja so viele andere Messgrößen, z.B. Durchsatz (fertiggestellte Aufgaben pro Zeiteinheit) oder Auslastung, oder Qualität, oder Personalkosten.
Der offensichtlichste Grund für möglichst kurze Durchlaufzeiten sind die Verzögerungskosten, d.h. Mehrkosten bzw. entgangener Gewinn, die durch verspätete Lieferung entstehen. Verzögerungskosten verstehen wir im Alltag intuitiv: Ich habe zum Beispiel fast immer einen Aufschlag für Expressbearbeitung bezahlt, wenn ich online Flyer bestellt habe.
Bei der Produktentwicklung kennt man das Thema “Time to Market”, das ist die Durchlaufzeit von der Produktidee bis zur Verfügbarkeit am Markt. Hier sind die Verzögerungskosten relativ einfach zu bestimmen: Wenn das Produkt zum Beispiel 5 Jahre am Markt ist und wir uns 1,2 Mio Euro Gewinn im ersten Jahr erhoffen, dann kostet jeder Monat Verzögerung 100000 Euro. Das kann man natürlich noch differenzierter betrachten, indem man ein gewisses Umsatzprofil für das Produkt annimmt und das mit dem entsprechenden Profil für das verzögerte Produkt vergleicht. Aber die Grundidee bleibt: Verzögerung kostet soundsoviel Euro pro Monat.
Die Erkenntnis von Don Reinertsen (in den 1980er Jahren) war nun, dass Verzögerungskosten oft entscheidend für das Gesamtergebnis sind. Andere Einflussgrößen wie z.B. Herstellungskosten, Materialkosten u.ä. fallen dagegen weniger in’s Gewicht. Wenn man das für die heutige Projektlandschaft betrachtet, stimmt es immer noch: Verzögerungskosten dominieren oft, und zwar unabhängig davon ob die Verantwortlichen sie kennen oder nicht.
Auch weil die Verzögerungskosten meist vernachlässigt werden, sagen wir hier bei SoftwareLiefern.de gern “Durchlaufzeiten verringern”, oder “Durchlaufzeit statt Auslastung”. Das ist natürlich eine Vereinfachung. Eigentlich muss man z.B. Durchlaufzeit und Auslastung gegeneinander abwägen. Wer kürzere Durchlaufzeiten will, muss die Auslastung verringern, also für zusätzliche Kapazität bezahlen. Er wird dafür mit geringeren Verzögerungskosten belohnt. Es ist also, wie so oft, eine Optimierungsaufgabe: Maximaler Gewinn über die gesamte Lebenszeit des Projekts bzw. Produkts braucht die richtige Balance zwischen Durchlaufzeit und Auslastung. In der Praxis ist diese Balance oft weit weg vom Optimum, in Richtung höherer Auslastung, verschoben – zu Lasten der Durchlaufzeit und des Gesamtergebnisses. Also bleiben wir bei dem Spruch “Durchlaufzeiten verringern”, es ist eine nützliche Vereinfachung.
Matthias Berth