[SL] Wagen 22

Mir geht dieses Bild nicht aus dem Kopf:

Wagen 22

Gestern war ich mit der Bahn unterwegs. Für mich gibt es eigentlich immer Denkanstöße auf solchen Reisen. Gestern hätte ich zum Beispiel gern eine Ursachenanalyse mit 5 Why gemacht, warum der ICE von Berlin nach Frankfurt ohne etliche der eingeplanten Wagen fahren musste.

Aber zurück zum Photo. Ich hatte im Wagen 22 einen Platz reserviert, nur war leider das gesamte Anzeigesystem in diesem Wagen ausgefallen (das erlebe ich öfter). Für Wagen 21 funktionierte das Display, und nach Wagen 21 kommt ja Wagen 22. So haben sich die meisten Leute erfolgreich auf ihre reservierten Plätze gesetzt, nicht ohne vieles Hin- und Her-Fragen. Die Reservierungsanzeige ging auch nicht, es gab an einem Platz auch etwas Streit, weil jemand seinen Platz nicht räumen wollte. Habe ich schon erwähnt, dass der Zug auch ohne die fehlenden Wagen schon zu 100% ausgebucht war?

Jedenfalls stand nach einiger Zeit die Wagennummer 22 direkt auf dem defekten Display geschrieben, so wie im Photo oben zu sehen. Eine elegante Lösung? Eher nicht. Auch keine kontinuierliche Verbesserung, eher schon ein kontinuierlicher Workaround (falls der Schaffner für solche Fälle immer einen Stift bei sich trägt). Ich vermute auch ganz stark, dass es keine Dienstvorschrift dazu gibt (“Wenn das Display ausfällt, schreibt der Zugbegleiter die Wagennummer mit dem Dienst-Schreibutensil”).

Hier hat jemand die Initiative ergriffen, um die Situation zu verbessern, im Sinne des Kunden. Die Bahner wollen ja einen guten Job machen, und sie wollen stolz auf ihre Arbeit sein können. Das gilt auch für diejenigen, die die fehlenden Wagen zu verantworten hatten. Das Management hat die Pflicht, die Umgebung so zu gestalten, dass die Leute auch gute Arbeit abliefern können. Solche Mängel (defekte Displays, ausgefallene Klimaanlagen, fehlende Wagen) sind nicht nur eine Enttäuschung für den Kunden, sondern auch eine Enttäuschung der betroffenen Mitarbeiter.

Das ist natürlich nichts Neues. W. Edwards Deming, der ab 1950 die japanische Qualitätsbewegung inspiriert hat, formulierte das in seinen “14 Punkten” so:

12a. Remove barriers that rob the hourly worker of his right to pride of workmanship. The responsibility of supervisors must be changed from sheer numbers to quality. b. Remove barriers that rob people in management and in engineering of their right to pride of workmanship. Deming, W. Edwards. Out of the Crisis (The MIT Press, 1982, S.24)

Nachtrag: Ich bin gerade auf dem Rückweg und sitze in einem ICE, wo wegen eines Ausfalls der Kühlung das Angebot im Speisewagen eingeschränkt ist und in allen Wagen die Displays nicht funktionieren.

Matthias Berth

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