Die meisten Karten auf einem Kanban-Board stehen für work in process (WIP), also Dinge, die wir angefangen haben, die aber noch nicht fertig sind. Meist wird das Blickfeld noch etwas erweitert: in der Spalte ganz links (“Ready”) sieht man ein paar Dinge, die wir sehr bald anfangen wollen; ganz rechts steht, was wir gerade fertiggestellt haben (“Done”).
Auf dem Kanban-Board haben wir unsere WIP-Limits, und mit der empirisch beobachteten Abarbeitungsrate können wir Prognosen machen, wann etwas fertig sein wird. Von “Ready” bis “Done” haben wir also den Software-Lieferprozess ganz gut im Griff.
Ich will heute über die Arbeit schreiben, die sozusagen links neben dem Kanban-Board liegen müsste– die große Liste, in der die Anforderungen erstmal zwischengelagert werden, bevor sie an’s Board kommen. Wenn man das visualiseren würde, sähe es ungefähr so aus:
Viele Organisationen haben das Problem, dass diese Arbeit schneller reinkommt als sie abgearbeitet werden kann. Jeden Monat wächst die Zahl der unerledigten Feature-Wünsche, Support-Tickets usw.
Einige Symptome der überlasteten Projektorganisation sind einfach zu erkennen, dennoch ist Vielen die Problematik nicht bewusst. Kurz gesagt: Die Ankunftsrate ist größer als Abarbeitungsrate, und dadurch wächst der gestern besprochene “Bestand an Rohmaterial” stetig an.
Es hilft, wie ein Handwerker zu denken, wenn man Lean-Prinzipien verstehen will: Wie macht es ein Bäcker mit seinen Beständen an Rohmaterial, also dem Mehl im Lager und den Eiern im Kühlschrank? Er hat das Überlastungs-Problem eigentlich nie: niemand drängt ihm neue Säcke mit Mehl auf, der Bäcker kauft es einfach nach, wenn seine Vorräte zur Neige gehen. OK, manchmal spekuliert er vielleicht und schafft mehr an, als er kurzfristig verbraucht, oder er nutzt einen Mengenrabatt; aber seine Vorräte wachsen nicht unbegrenzt.
Der Bäcker praktiziert also im Großen und Ganzen “Pull” für sein Rohmaterial. Im Gegensatz dazu sind viele IT-Organisationen mit “Push” konfrontiert, d.h. die Arbeit wird ihnen “von außen” aufgedrängt. Mit der häufigen Folge, dass der Arbeitsvorrat stetig wächst.
Was kann man tun? Vor allem den Zufluss an Arbeit besser steuern.
Die Abarbeitungsrate ist die andere Seite der Medaille: Wenn wir sie dauerhaft größer als die Ankunftsrate machen können, verschwindet das Überlastungsproblem mit der Zeit.
Nach Umsetzung dieser Maßnahmen werden Sie höchstwahrscheinlich immer noch nicht alle Wünsche erfüllen können, die an Sie herangetragen werden. Aber immerhin gibt es dann zuverlässige Prognosen für zugesagte Arbeit, und es wird eine bewusste Entscheidung darüber getroffen, was nicht erledigt wird.
Matthias Berth