[SL] Integration zur geistigen Erneuerung

Die Integration ist eine feste Größe in der IT, denn immer kürzere Entwicklungszyklen, neue Technologien und disruptive Innovationen fordern eine stete Auffrischung, Ergänzung und Erneuerung bestehender Anwendungen.

Integration als Konsolidierung

Die Integration als Vereinheitlichung verschiedener Anwendungen, verringert oder vermeidet u.a. Schnittstellen. Ein Beispiel: Bei der Bestellung eines Neukunden nutzt ein Webshop drei verschiedene Provider zur Validierung. Gibt es diese Versand-Adresse? Ist sie richtig geschrieben? Ist die Email-Adresse gültig? Handelt es sich vielleicht um eine Wegwerf-Email-Adresse? Wenn man diese Validierungsaspekte mit einem einzigen, integrierten, Provider abdecken kann, spart man natürlich Aufwand, es muss dann nur noch eine Schnittstelle gepflegt werden, außerdem wird sich die Latenz verbessern u.s.w.

Im Falle der Funktionsintegration werden sich überschneidende oder arbeitsteilige Programme in einer Anwendung zusammengefasst. Bei der Datenintegration greifen unterschiedliche Anwendungen auf ein einheitliches Datenmodell zu, insbesondere mit gleicher Bedeutung/Semantik.

Diese Spielarten der Integration sind gut verstanden und gehören gewissermaßen zum täglich Brot in der IT.

Integration für neue Potenziale

Integration kann auch ganz neue Möglichkeiten und Geschäftsmodelle erschließen. Ein aktuelles Beispiel für den Handel: Wie kann man AI-gestützte Bilderkennung verwenden, um per Ähnlichkeitssuche passende Artikel vorzuschlagen? Kann ich einen Look, den ich auf der Straße sehe, fotografieren und sofort dazu passende Artikel aus einem Online-Shop vorgeschlagen bekommen?

Bausteine zur Umsetzung dieser Idee kann man heute schon extern als Service einkaufen. Die Firma Clarifai beispielsweise bietet ein “Apparel model”, d.h. ein API zur automatischen Erkennung von Produkten wie Sonnenbrillen, Armbändern, Ohrringen usw.

Den Stand der aktuellen Entwicklung in diesem Bereich sieht man ganz gut anhand der iMat Fashion 2019, das ist ein Wettbewerb zur Bilderkennung im Modebereich. Ziel ist ein System, das die verschiedenen Teile und Accessoires auf einem Bild erkennen, voneinander abgrenzen und einordnen kann, inklusive ihrer Attribute wie z.B. Länge und Passform.

iMat fashion datasets

Beispieldatensätze aus der iMat Fashion 2019 competition. Bildquelle: Visipedia

“Weltklasse in der Bilderkennung im Fashion-Bereich werden” ist unrealistisch für die meisten Online-Händler. Statt dessen muss das Ziel weiterhin lauten “Weltklasse in der Erkennung und Erfüllung von Kundenwünschen”. Dies gelingt mit Hilfe gut integrierter externer Services, auch zur Bilderkennung.

Der Handel macht gerade einen tiefgreifenden Wandel durch, weg von der Bündelung aller Komponenten des Geschäftsmodells im eigenen Haus hin zur Anbindung von immer mehr externen Services. Daher lautet unsere These: Wer schneller und besser integrieren kann, gewinnt im Wettbewerb.

Wie wird man offen für Integration?

Die Fähigkeit, unterschiedliche Potenziale in Unternehmen zu integrieren, hängt von der Bereitschaft ab, bestehende Leistungen, Prozesse und Produkte neu zu denken und flexibel über Kooperationen zu kombinieren. Es sind dieselben Voraussetzungen und Vorgehensweisen zu schaffen, die auch disruptive Innovationen (in Anlehnung an Clayton Christensen) in Unternehmen begünstigen:

Innovationsfähige Organisationsstrukturen entwickeln

Um die Organisation in die Lage zu versetzen, integrative und am Ende sogar disruptive Geschäftsmodelle umzusetzen, sind neue Mitarbeiterkompetenzen aufzubauen sowie Pfadabhängigkeitsdenken und strukturelle Hemmnisse zu überwinden. Die Erreichung von interdisziplinären Lern- und Innovationszielen muss im Vordergrund stehen. Die klassische Trennung nach Funktionen wie Einkauf, Marketing und Vertrieb ließ interne “Fürstentümer” entstehen, die ohne ganzheitliche Sichtweise auf das Geschäft agieren. Stattdessen wird eine Organisationsstruktur benötigt, die in der Lage ist, “end-to-end”-Prozesse zu steuern.

Zukunftsfähige Kompetenzen definieren

In Abhängigkeit vom Entwicklungsstand des Marktes haben Unternehmen zu entscheiden, welche Strategie zukünftige Gewinnpotenziale eröffnet. Sie definieren, welche zusätzlichen Kompetenzen benötigt werden, um Wachstumspotenziale aus neuen Lösungen und Services zu ermöglichen.

Kunden- und Partnerverhalten verstehen

Es geht darum, das Problem und die Situation des Kunden zu verstehen und eine dafür passende Lösung zu finden. Gemäß Clayton Christensen gibt es Aufgaben, die aus Sicht der Kunden und Partner erledigt werden müssen. Funktionale, emotionale und soziale Dimensionen bestimmen die Verhältnisse, unter welchen der Kunde einen Kauf oder eine Beauftragung tätigt (“Jobs To Be Done”).

Ganzheitliche Geschäftsmodellierung anwenden

Zur Konzeption neuer Geschäftsmodelle werden bestehende Fähigkeiten und neue Kompetenzen zusammengeführt. Angepasste Planungsmethoden und Werkzeuge (wie z.B. “Business-Model-Canvas”) basieren auf dieser ganzheitlichen Betrachtung. Hier werden alle Hypothesen des Geschäftsmodells zusammengefasst. Es können Wertschöpfungsbestandteile frei gestaltet werden und spielerisch Varianten mit externen Elementen entstehen, ohne durch Bereichs- und Funktionsgrenzen eingeschränkt zu sein.

Wertschöpfungspotentiale über Kooperationen erschließen

Um Wettbewerbsvorteile zu bewahren, war es bisher gängige Praxis, firmeninternes Wissen geheim zu halten und vom Lock-In Effekt Gebrauch zu machen, der für Kunden die Wahl eines konkurrierenden Angebots durch hohe Wechselkosten unwirtschaftlich macht. Statt Abhängigkeiten zu erzeugen, gehen viele Unternehmen zu einer offenen fachlichen und technischen Architektur über. Durch Plattformen und neu geschaffene Ökosysteme werden die Voraussetzungen zur Integration von Daten, Prozessen und Dienstleistungen Dritter in das eigene Geschäftsmodell geschaffen. Erst durch die vereinfachte Anbindung und Kommunikation mit Partnern und Konsumenten entstehen – oft auch ungeplante – Kompetenzerweiterungen, die die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern. Geschäfts-Funktionalitäten schnell und flexibel anzubinden und wieder auszuwechseln ist gerade bei digitalen Geschäftsmodellen mit agilen Entwicklungsprozessen eine zentrale Eigenschaft.

Planungs- und Umsetzungsprozess verzahnen

Die Planung eines neuen Geschäftsmodells erfordert eine enge Verzahnung mit der Umsetzung. Der Prozess soll so agil konzipiert sein, dass Pläne kontinuierlich getestet und auf diese Weise kritische Annahmen zeitnah bestätigt werden können. Auch ein etabliertes Unternehmen, das ein neues, innovatives Produkt oder eine neue Dienstleistung entwickelt, befindet sich in einem Umfeld extremer Ungewissheit analog zur Definition eines Startups, wie es Eric Ries in seinem Buch “The Lean Startup” beschreibt.

Handlungsfelder

Im Ergebnis können wir feststellen, dass die Herausforderungen an die Software- und die Unternehmensentwicklung sich ähneln: Gelungene Integration geht über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus.

Christoph Lefkes

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