Viele “Techies” treffen Karriere-Entscheidungen nach technologischen Gesichtspunkten. Strategisch denken heißt für sie: Woran bzw. wo muss ich heute arbeiten, damit ich auch in zwei Jahren noch ein hohes Gehalt erzielen kann? Heute ist es Kubernetes oder Golang, später irgendein anderes Feld, auf dem gerade akuter Entwickler-Mangel herrscht. Als Arbeitgeber hat man schnell verloren, wenn man den Entwicklern nicht regelmäßig die Möglichkeit bietet, die neuesten Technologien zu erkunden und zu lernen. Wie ich höre, wird auch manchmal die Technologie-Auswahl davon bestimmt, was die Entwickler gern als nächstes auf ihrem Lebenslauf sehen wollen (“resume driven development”).

Ich finde diese Betrachtung zu eindimensional, Lernen und persönliche Weiterentwicklung findet in mehreren Dimensionen statt. Um diese Dimensionen mal namentlich zu fassen, habe ich “Archetypen” aufgelistet, also typische Vertreter:

Der Techie beherrscht das technologische Handwerkszeug perfekt. Die meisten Entwickler konzentrieren sich rein darauf: Welche neue Programmiersprache ist als nächstes im Kommen? Welche neuen Technologien muss man jetzt lernen, um auch in 2 Jahren noch attraktiv auf dem Arbeitsmarkt zu sein?

Der Entwickler als Kundenversteher kennt sich fachlich hervorragend aus. Im Handel wäre das z.B. jemand der die Prozesse kennt, der weiß, was in einem Handelsunternehmen den Projekterfolg ausmacht. Der Kundenversteher hat also ganz viel gelernt über die Probleme, die unsere Software eigentlich löst. Diese Dimension ist für Entwickler oft nicht so interessant / spannend und wird vernachlässigt.

Der alte Hase denkt lösungsbezogen, d.h. wie lösen wir das Problem unserer Kunden? Das ist der Entwickler, der sich mit der bestehenden Software so gut auskennt, so dass er beinahe unersetzlich ist (leider, manchmal).

Der Mitstreiter sorgt dafür, dass alle möglichst gut zusammenarbeiten. Wie mache ich meine Anliegen anderen verständlich? Wie kann ich meinen Kollegen helfen, einander zu verstehen? Wie kommuniziere ich? Wie kommen wir gemeinsam zum Ziel?

Der Politiker setzt politisches Geschick ein um die Anliegen des Teams (oder eine größere Mission) zu fördern. Beispiel: Admiral Grace Hopper (“Amazing Grace”) wurde im Alter von 61 Jahren aus dem Ruhestand zurückgerufen und arbeitete dann weiter für die Navy bis zum 80. Lebensjahr. Sicher war sie fachlich brilliant. Aber ich vermute mal, dass sie auch die Navy gut kannte, und wusste, wie sie ihre Anliegen realisieren konnte.

In der Regel konzentrieren sich Software-Entwickler nur auf eine dieser Fähigkeiten. In unseren Projekteinsätzen vermitteln wir den Entwicklern alle oben genannten Perspektiven, und fordern eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Sichtweisen. Damit erweitert sich ihr Verständnis für den Kontext, und die Chancen steigen, dass der einzelne Entwickler seine technologische Leistung wirksamer und schneller einbringen kann.

Bonuspunkte für jeden, der mir sagt, wo es so ein Modell (Dimensionen des Lernens / der Entwicklung) schon gibt.

Matthias Berth