Wagniskapitalgeber (Venture Capitalists - VCs) machen Investitionen unter großer Unsicherheit. Sie leben mit einer großen Anzahl von Fehlschlägen, es scheitern ca. 75% aller Start-Ups [1]. VCs haben in ihrem Geschäftsmodell Methoden entwickelt, um diese Unsicherheit zu tolerieren und möglichst gut von Chancen zu profitieren.
Was können wir von VCs und dem ganzen Start-Up-Ökosystem lernen, wenn es darum geht, Projekte (bzw. Ideen für neue Produkte oder Dienstleistungen) zu filtern? Wie am Beispiel von Hackathons beschrieben gibt es immer ein Dilemma: Man kann strengere Kriterien anlegen und so “falsch positive” Ergebnisse (Fehlinvestitionen) möglichst vermeiden. Damit handelt man sich aber auf der anderen Seite mehr “falsch negative” Ergebnisse ein. Für einen Wagniskapitalgeber besteht ein falsch negatives Ergebnis darin, dass er nicht in das nächste Facebook oder Google investiert. Für eine Projektorganisation ist es die gute Idee, die nicht verwirklicht wird, weil sie nicht durch den Projektfilter kommt.
Beide, Wagniskapitalgeber und Projektorganisationen, haben mit Unsicherheit zu kämpfen. Den VCs ist das Problem der falsch negativen Ergebnisse bewusst, bei Projektorganisationen bin ich mir dessen nicht so sicher. Die Herangehensweise der VCs läßt sich nicht zu 100% übertragen, ist aber ein interessanter Kontrast zu den Gepflogenheiten im Projektgeschäft.
Investiere in ein Portfolio. VCs investieren immer parallel in mehrere Firmen. Sie hoffen, dass ein spektakulärer Erfolg ausreicht, um den ganzen Rest von “mittelmäßig” bis “totaler Fehlschlag” zu kompensieren und noch einen guten Gewinn abzuwerfen. In der Summe ergibt sich so eine Risikostreuung, die die Geldgeber des VC-Fonds tolerieren können. Ich glaube, ein Projektportfolio wird eher selten unter dem Aspekt der Risikostreuung betrachtet.
Sammle erst das Geld ein. VCs legen einen Fonds auf, sammeln dafür Geld ein und investieren es dann über mehrere Jahre verteilt in verschiedene Start-Ups. Dem Wagniskapitalgeber dreht niemand den Geldhahn ab, weil gerade eines seiner Portfolio-Unternehmen in Schwierigkeiten ist. Dadurch fällt es ihnen leichter, die nötigen Risiken einzugehen. Ich kenne kein Beispiel, wo ein “Fonds” für Projekte aufgelegt wurde, mit einem Gesamtbudget das über mehrere Jahre verteilt in Projekte investiert werden kann, die heute noch niemand kennt.
Investiere mehrstufig. Die übliche Entwicklung eines Start-Ups läuft über mehrere Finanzierungsrunden (seed round, series A, B, C usw.). Am Anfang, wenn das Start-Up noch klein ist, und die Unsicherheit am größten, fließen nur kleine Summen. Mit dem Erreichen von Meilensteinen und dadurch verringerter Unsicherheit werden die Summen größer. Klassisches Beispiel: Start-Ups, die Medikamente entwickeln. Je weiter klinische Studien fortschreiten, desto mehr ist das Unternehmen wert, desto mehr wird aber auch in die nächste Stufe investiert.
Dem VC gibt das mehrstufige Vorgehen die Option, auszusteigen (option to discontinue). Diese Option klingt erstmal negativ, schließlich verliert man das investierte Geld. Sie ist aber durchaus etwas wert: man hat gewettet, aber nur einen kleineren Betrag verloren.
Im Gegensatz dazu scheinen einige Projekte nach dem “alles oder nichts”-Prinzip finanziert zu werden. Wenn man nach kleineren Schritten fragt, oder gar auf eine Obergrenze für Projektbudgets dringt, heißt es schnell “Das können wir nur so machen, ganz oder garnicht”. Diese Argumentationsweise ist den VCs herzlich egal, sie investieren in der jeweiligen Finanzierungsrunde nur bis zu einem gewissen Maximum. Wer mehr will, muss kreativ werden und sich Meilensteine überlegen, die in einer kleineren Runde realisierbar sind.
[1] Man findet verschiedene Statistiken, die 75%-Quote stammt aus “The Venture Capital Secret: 3 Out of 4 Start-Ups Fail” (Wall Street Journal)
Matthias Berth