Zalando hat sie viermal im Jahr, Facebook alle paar Wochen: Hackathons, also Veranstaltungen, bei denen spontan gebildete Teams ihre eigenen Ideen in kurzer Zeit verwirklichen.
Hackathons sind natürlich ein wunderbares Mittel, um die EntwicklerInnen (und nicht nur die) in der Firma zu halten und positive Außenwirkung zu erzeugen. Wer möchte sich nicht ab und zu mal frei von allen Formalien austoben und dabei etwas realisieren, was er/sie schon länger im Kopf hatte?
Ich finde noch einen weiteren guten Grund für Hackathons: Den Projektfilter.
Alle Firmen, die eine gewisse Größe erreicht haben, brauchen formale Filter für neue Ideen und Vorhaben. Bevor man die begrenzten Ressourcen einsetzt, wird Marktforschung betrieben, der Nutzen durchgerechnet, und natürlich soll auch der Aufwand geschätzt werden. Am besten holt man also alle Stakeholder frühzeitig mit ins Boot und sichert sich politische Unterstützung für das nächste Projekt.
Natürlich würden Unternehmen ohne diese Filter und Prioritäten in einer Flut von angefangenen Projekten versinken. Nehmen wir also so einen Filter mal als gegeben an, egal wie formal er gestaltet ist. Bei jedem Filter gibt es “falsch positive” Ergebnisse. Hier sind das Projekte (oder Produkte, Services usw.), die durch den Filter gekommen sind, die aber in der Realisierung viel mehr kosten und / oder viel weniger bringen als erwartet. Denken Sie zum Beispiel an die Zahlungsmöglichkeit “Bitcoin”, die dann doch keine unserer Kundinnen nutzen wollte.
Es gibt aber auch “falsch negative” Ergebnisse, also Projekte, die nicht durch den Filter kommen, obwohl sie gut sind. Für solche Ideen verlassen manchmal die eigenen Mitarbeiter das Unternehmen und gründen etwas Neues. Oder die Idee wird erfolgreich von der Konkurrenz verwirklicht. In beiden Fällen sieht man leider zu spät, wie gut die Idee war. Apple wäre heute eine Abteilung von HP, wenn der Apple I Computer durch den Projektfilter gekommen wäre.
Der perfekte Filter würde nur gute Ideen durchlassen und keine einzige gute Idee ablehnen.
Das Problem ist, je mehr man beim Filtern den Anteil der falsch positiven Ergebnisse herunterdrückt, desto größer wird der Anteil der falsch negativen. (Das ist ein grundlegende Dilemma solcher Filter, ob es nun um die Diagnose von Krankheiten geht, um das Aufspüren von Terroristen, oder eben um die Investition in neue Ideen.)
Leider werden die Stellschrauben im Laufe der Zeit immer mehr in Richtung “Vermeidung von falsch positiven Ergebnissen” gedreht. Man “lernt aus Fehlern” und findet ein weiteres Kriterium, mit dem der letzte Fehlschlag sicher herausgefiltert worden wäre. Nur dass dasselbe Kriterium auch die nächste gute Idee zu Fall bringen kann.
Was kann man tun?
Man kann zum Beispiel die Filter mal komplett ausschalten. Das machen die Hackathons: es reicht, dass ein/e Teilnehmer/in die Idee gut findet, niemand aus der Management-Ebene muss davon überzeugt werden. Die grobe Richtlinie lautet nur: Es sollte dem Unternehmen vielleicht irgendwann mal etwas nützen. Nach dem Hackathon ist es dann erheblich leichter, andere von einer Idee zu überzeugen: ein Demo zeigt ziemlich klar, worum es geht. So wachsen die Ideen im Hackathon erstmal ein bißchen heran, bevor sie niedergemäht werden können.
Man kann auch die Kosten für falsch positive Ergebnisse verringern, so dass man sich mehr davon leisten kann. Das machen Hackathons ebenfalls: sie sind zeitlich begrenzt, d.h. bei einem Fehlschlag verliert man nur einen begrenzten Einsatz. Die Hack Week bei Zalando läuft zum Beispiel über eine Woche. Diese Zeit könnten EntwicklerInnen in anderen Firmen locker mit Schätzungen und der Teilnahme an Scope-Meetings verbringen, bevor auch nur eine Zeile Code geschrieben ist.
Ein Hackathon-Projekt kann eigentlich gar kein “Fehlschlag” sein. Auch wenn das Vorhaben später nicht umgesetzt wird, haben sich Leute durch gemeinsame Arbeit (und Spaß) kennengelernt, es wurden neue Technologien ausprobiert und gemeinsame Erfahrungen gemacht.
Also ab jetzt Ideen nur noch über Hackathons filtern?
Der Spaßfaktor wäre sicher größer, nur Vieles lässt sich leider nicht so einfach in das Format “Hackathon” pressen. Hackathons zeigen aber, dass kein Prozess die Ressourcen eines Unternehmens perfekt zuteilen kann. Und das ist auch ganz in Ordnung so.
Matthias Berth