Es war eine Revolution: Tausende von Buchhaltern, Betriebswirtschaftlern, Rechtsanwälten konnten jetzt einen dieser neuen Microcomputer einsetzen, um Routineaufgaben zu erledigen. Vor 40 Jahren wurde VisiCalc veröffentlicht, das erste Tabellenkalkulationsprogramm, das im Mainstream ankam.
Eine Besprechung im Computer-Magazin Byte von 1980 beginnt so:
“The most exciting and influential piece of software that has been written for any microcomputer application is VisiCalc. I’ve been using VisiCalc almost full-time for the past six months and have written over 300 applications (which I refer to as models) for the program.”
VisiCalc war so nützlich, dass sich viele Leute einen Apple-Computer für 2000 Dollar kauften, nur um VisiCalc (100 Dollar) darauf laufen zu lassen. VisiCalc wurde ungefähr eine Million mal verkauft, der heutige Marktführer Excel hat sicher mehr als hundert Millionen Anwender.
Mittlerweile wird eine unübersehbare Vielfalt von Business-Prozessen, Planungen, Analysen und anderen Aufgaben mit Excel erledigt. Gerüchteweise sollen auch ganze Hedge-Fonds damit gesteuert werden.
Eine riesige Erfolgsgeschichte also – ein Teil der Power eines Computers wurde für Nicht-Programmierer einfach zugänglich gemacht. Was macht Excel so erfolgreich, vor allem im Vergleich mit der sonstigen Unternehmenssoftware (ERP-Systeme u.ä.)?
Wäre es nicht schön, wenn die heutige Unternehmenssoftware “mehr wie Excel” wäre? Dabei wollen wir die Schwächen von Excel nicht übernehmen müssen. Gesucht ist also ein Medium, das leicht und unmittelbar zu manipulieren ist (wie eben Textverarbeitung oder Tabellenkalkulation), das aber bei Bedarf “grundsolide” gemacht werden kann, mit Undo und Features wie Änderungsverfolgung, automatisierten Tests, Zugriffsrechten und Zusammenarbeit. Ein System, das vom Einsteiger bis zum Power-User und Programmierer alle unterstützt. Anwender, die keine IT-Profis sind, müssen damit zu Dingen befähigt werden, die klassischerweise Programmierern vorbehalten sind:
Man sollte dem System eher sagen, was zu tun ist, als wie es zu tun ist. Das “Was” kennt die Fachabteilung ganz gut, und das “Wie” sollte fast nie Unterstützung von Software-Entwicklern brauchen. Etwa: “Ein Kunde hat ein Konto in Euro, das Guthaben und Schulden ausweisen kann.” Das sollte reichen, um Funktionalitäten wie Zahlungs-Transaktionen, Überziehungslimits und Kontoauszüge zu bekommen.
Kommunikation mit Drittsystemen muss durchschaubar sein und sich leicht anpassen lassen.
Änderungen im “Datenmodell” und in der Geschäftslogik sollten leicht durchführbar sein, ohne umständliche “Migration”. Statt einer Rechnungsdresse kann es jetzt mehrere davon geben? Kein Problem. Das System weist uns noch darauf hin, dass wir an einigen Stellen eine Auswahlmöglichkeit für die Rechnungsadresse schaffen müssen. Außerdem schlägt es vor, eine der Rechnungsadressen als “bevorzugt” zu markieren. Genauso leicht sollte eine Änderung auch rückgängig zu machen sein, wenn sich nach ein paar Wochen herausstellt, dass es keine gute Idee war.
Auch wäre es sinnvoll, eine Art “Was wäre Wenn?” für Änderungen einzelner Geschäftsregeln machen zu können. Wir wollen keine Zahlung mit Paypal mehr anbieten? Dann würde wohl 10% des Umsatzes ausfallen und es gäbe für Kundinnen aus der Schweiz gar keine Bezahlmöglichkeit mehr! (Das kann man machen, indem man zum Beispiel die Transaktionen der letzten 12 Monate auf dem “neuen” System simuliert und die Ergebnisse vergleicht.)
Ich habe in dieser Liste sicher nicht alle wünschenswerten Themen aufgeführt, aber als Skizze mag es ausreichen. Kommen wir dahin über evolutionäre Veränderungen der heutigen Spreadsheets, etwa in Richtung Online-Zusammenarbeit wie bei Google Docs? Oder braucht es nochmal ein neues Paradigma, um diese Ziele zu erreichen?
Was mich noch interessiert: Haben Sie vielleicht Software für Unternehmensanwendungen gesehen, die “mehr wie Excel” funktioniert und zumindest einige der genannten Wünsche erfüllt? Antworten Sie bitte einfach auf diese Email.
Matthias Berth