Die Ablösung einer bestehenden IT-Architektur mit zahlreichen Altanwendungen hin zu einer zukunftsfähigen Zielarchitektur ist ein Kraftakt. Unter anderem verspricht man sich davon, auch technologisch und systemtechnisch einen schnellen und guten Software-Lieferprozess zu unterstützen. Das übliche Vorgehen mit verschiedenen Aufnahmeprozessen, der strategischen Ausrichtung, umfangreichen Software-Auswahlverfahren und einer möglichen Roadmap vom IST zum SOLL ist vielfach nachzulesen, oder es wird von Dienstleistern eingekauft. Wenn man diesem Vorgehen folgt, so die Theorie, kommt man ganz rational zum bestmöglichen Gesamtergebnis.
“Theoretisch gibt es keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Praktisch schon.” Yogi Berra, Baseball-Star, Coach und Manager
In der Praxis wird das Geschehen emotional aufgeladen, sobald die beteiligten Stakeholder ins Spiel kommen. Es sieht in manchen Fällen sogar so aus, als ob persönliche Interessen und Neigungen der Stakeholder die alleinige Rolle spielen. Es geht dann nicht mehr um’s Unternehmen, sondern um’s persönliche Ego. Falls Sie mal in so eine Situation geraten sollten, hilft vielleicht nachstehender Katalog, um einige Stakeholder und deren persönliche Agenda zu verstehen:
Externe Dienstleister: Verzögerungen oder Neukonzeptionen von Softwarelösungen sind zusätzliche Erlösquellen, dies gilt auch für Testate zur Technologie-Entscheidung oder Auswahlprozesse. Software-Einführungen sind eine ideale Möglichkeit, zusätzliche Methodik und andere Serviceleistungen zu verkaufen.
Interne IT: Mit einer Neueinführung werden bestehende strukturelle Mängel verdeckt. Das Neu-System wird dem Rest der Organisation als rundum-sorglos Paket verkauft. Steigende Budgets und Mitarbeiteranzahl stärken die “eigene” Wichtigkeit bzw. die Stellung im Unternehmen. Neue Systeme lassen sich auch leicht in der Verantwortung delegieren. Eine neue Technologie befriedigt den eigenen Spieltrieb (z.B. Cloud-Services) und steigert den eigenen Wert am Arbeitsmarkt.
Fachbereiche/Anforderer: Jegliche Änderung oder Projekteinführung bietet die Möglichkeit zur Ausrede bei möglichen Umsatzeinbrüchen: “Schuld ist die IT”.
Prozess, Portfolio- und Projekt-Management: Ein oftmals chaotischer Verantwortungszuschnitt zwischen allen Stakeholdern liefert die Daseinsberechtigung von Einzelpersonen und Stabsbereichen.
Projektbeteiligte: Eine Verlängerung oder Initiierung eines Einführungs-Projekts ist eine Arbeitsplatzgarantie aber auch Motivation zur Weiterentwicklung.
Finanzbereiche: Statt bestehende fachliche Probleme (Buchungen) zu klären, führt man ein renommiertes Zielsystem ein, dann ist der Buchungsstoff ja in jeder Hinsicht ideal aufbereitet.
Geschäftsführung: Die bestehende Unruhe innerhalb eines Unternehmens, meist bedingt durch fehlende klare Verantwortlichkeiten, soll durch eine Neueinführung beendet werden. Mit einer Neueinführung müssen alle Unternehmens-Beteiligten die gleichen Prozesse verwenden, alles andere wäre zu teuer. Somit hört auch die lästige Diskussion zur Konsolidierung auf, denn das regelt die Software. Was teuer und standardisiert ist, muss auch gut sein.
Dies sind nur Auszüge aus einer sehr umfangreichen Gemenge- und Interessenlage. Wenn aus einem sinnvollen Vorgehen zur Ablösung von Altsystemen ein unsachliches Kräftemessen und Taktieren wird, bleibt mindestens die Geschwindigkeit und oft auch die Organisation auf der Strecke. Wir empfehlen daher – bei allem Verständnis für unterschiedliche Interessenlagen – die wesentlichen Entscheidungen am geplanten Nutzen für das gesamte Unternehmen auszurichten.
Christoph Lefkes