[SL] Mehr als 3 Kunden? Neue Kasse öffnen - WIP-Limits und Durchlaufzeiten

Im Supermarkt sieht man manchmal ein Schild für die Kassiererinnen: “Mehr als 3 Kunden in der Schlange? Neue Kasse öffnen.” Das ist genauso ein WIP-Limit wie am Kanban-Board, hier wird eben die Anzahl der Kunden, die im Kassenbereich “in Bearbeitung” sind, begrenzt. Wenn wir den Einkaufsprozess auf ein Kanban-Board bringen wollten, würden wir z.B. die Spalten Korb holen, Waren aussuchen, Käsetheke (optional) und Bezahlen einrichten. Für die Phase Bezahlen hat der Supermarkt einen klaren Anreiz, die Durchlaufzeit kurz zu halten. (Bei den anderen Einkaufsphasen wäre ich nicht so sicher, da hat man wohl gern eine etwas längere Verweildauer.)

Andererseits möchte man die Personalkosten möglichst gering halten. Die Regel “Neue Kasse ab 3 Kunden” ist ein Kompromiss: Verzögerungskosten (Kundenfrust) auf der einen Seite werden abgewogen gegen Kosten für Kapazität (Personalkosten). Auch wird die Durchlaufzeit nicht zu 100% genau erfasst – der Kunde mit dem großen Wochenendeinkauf zählt genauso viel wie die Kundin, die nur eine Tüte Milch im Korb hat.

Lassen Sie mich noch kurz zwei andere denkbare Regelungen diskutieren, um zu zeigen, wie clever die Kassenregel ist:

Man könnte direkt die Wartezeit als Kriterium nehmen. “Mehr als 5 Minuten Wartezeit? Neue Kasse öffnen.” Das Problem ist hier, dass die Wartezeit schwer zu messen ist. Im Kontext des Projektmanagements sind andere Nachteile noch erheblicher: Wartezeit ist sehr variabel (hohe Priorität bedingt z.B. geringe Wartezeit), sie lässt sich daher nur als Durchschnitt über eine gewisse Anzahl Tickets (User Stories, Karten…) bestimmen. Bis wir gemerkt haben, dass die Wartezeit hochgeht, sind schon zusätzliche Verzögerungskosten aufgelaufen. Wir erkennen Probleme also eher zu spät.

Ganz unbrauchbar als Kriterium ist die Auslastung: “Kassierer zu mehr als 95% ausgelastet? Neue Kasse öffnen.” Das kann man wieder nur über lange Zeiträume messen (Ankunftsrate / Abarbeitungsrate), auch hier würden wir also zu spät reagieren. Für’s Projektmanagement hatten wir schon geklärt, dass sich die Auslastung von Wissensarbeitern kaum bestimmen lässt.

Es bleibt also in allen Kontexten (Supermarkt, Fertigung, Projektmanagement) die einfache Regel: Um lange Durchlaufzeiten zu vermeiden, begrenze das WIP (work in process). Dieses Kriterium lässt sich einfach befolgen, ist hinreichend genau und ermöglicht zeitnahes Reagieren auf Probleme.

Matthias Berth

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