Sowas sehe ich gerne, eine Schale Erdbeeren von Karls:
‘Direktes Feedback vom Endkunden einsammeln ist eine gute Idee. Die sind nicht umsonst Marktführer hier’, dachte ich. Sie sind übrigens so gut (in den Disziplinen Geschmack, Frische, Qualität), dass sie regelmäßig 50 Cent mehr pro Körbchen nehmen können, als die Konkurrenz, die direkt gegenüber ihren Stand aufgebaut hat.
Weil sie so gut sind, hatte ich automatisch angenommen, dass im QR-Code direkt erfasst ist, von welchem Feld die Erdbeeren wann geerntet wurden, für 100%ige Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Körbchens.
Ich habe mir das genauer angesehen und den QR-Code mit einem Online-Tool übersetzen lassen.
Wie langweilig: es ist nur die generische URL https://www.karls.de/erdbeeren.html
.
Dort ist ein Formular, wo der Kunde angibt, wie’s geschmeckt hat und wie der Service war (von 1 bis 5 Erdbeeren).
Zusätzlich soll man bitte noch als Freitext die Verkaufsstelle eintragen und die 8-stellige Kontrollnummer eingeben,
die bei jedem Schildchen mit Kugelschreiber hinten drauf geschrieben steht.
Sicher kann dann Karls selbst anhand der Nummer nachvollziehen, woher das Körbchen kam.
Das ist doch ganz schön umständlich für den Kunden, oder?
Also entstand in mir eine Projektidee: Der “ErdbeerTracker”.
Man mache die Schildchen so, dass jedes Erdbeer-Körbchen einen eindeutigen QR-Code bekommt.
Dann kann man beim Ernten den QR-Code einscannen (mit jedem Handy) und dazu an eine zentrale Datenbank übermitteln,
welches Erdbeerfeld, welche Uhrzeit usw. es war.
Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, kann man auch noch erfassen, an welchem Stand das Körbchen verkauft wurde.
Ein Kunde, der Feedback geben will, scannt den QR-Code und braucht dann nur noch seine Einschätzung zu Geschmack und Service zu geben.
Die anderen Angaben kann er sich sparen, weil wir das Körbchen anhand der URL identifizieren können (z.B. https://www.karls.de/erdbeeren.html?koerbchen=82726113
).
Das wäre doch cool und elegant gelöst, oder? Außerdem würden wir ja mehr Feedback bekommen, weil jede Vereinfachung des Formulars die Anzahl komplettierter Feedbacks erhöht. (Beim Checkout im E-Commerce ist das lange bekannt.)
Nicht ganz so schnell. Wir sollten uns erstmal fragen:
Welches Ziel wollen wir hier eigentlich erreichen?
Na, dass der Kunde nicht mehr soviel Arbeit beim Feedback geben hat.
Kann man den Effekt des Projekts quantifizieren?
Auf Euro und Cent wird das schwierig, weil z.B. Cost of Quality schwer einzuschätzen ist. Wir können aber auf jeden Fall das Potenzial hinsichtlich der abgegebenen Feedbacks schätzen. Ich nehme dazu mal ein paar plausible Zahlen an, die innerhalb der Firma vorliegen sollten oder leicht zu beschaffen sind. Sagen wir, heute (mit der einfachen Lösung) bekommen wir 1000 Feedbacks pro Monat. Die meisten Leute (600 pro Monat) melden sich telefonisch, 400 nutzen den gescannten QR-Code.
Wieviel mehr könnten wir bekommen, wenn wir das Formular vereinfachen, indem wir Ort und Verkaufsstelle im QR-Code mitliefern? Dazu würde man sich ansehen, wieviele Besucher das Formular aufrufen und wieviele davon es tatsächlich abschicken. Sagen wir mal, es sind 800 Aufrufe, von denen aber nur 400 (50%) abgeschickt werden. Im besten Fall (100% Komplettierungsrate) bekommen wir also zusätzlich 400 neue Feedback-Meldungen via QR-Code. Nach Umsetzung des Projekts gäbe es also 1400 Feedbacks pro Monat, eine Steigerung von 40%.
Nun können wir fragen: 40% mehr Feedback (im günstigsten Fall), wäre uns das die x Tausend Euro für eine Umstellung auf individualisierte QR-Codes mit dem ErdbeerTracker wert?
Ganz schön viele Annahmen, meinen Sie? Wir können das Potenzial auch realistischer schätzen, indem wir einen kleinen A/B-Test starten: Wie ändert sich die Komplettierungs-Rate des Formulars, wenn wir die Eingabefelder zur Kontrollnummer und zur Verkaufsstelle einfach weglassen? Das lässt sich schnell ermitteln, indem man 50% der Besucher auf ein vereinfachtes Feedback-Formular lenkt. (Man kann Kontrollnummer und Verkaufsstelle in einem zweiten Schritt abfragen, damit die Information nicht verloren geht). Vielleicht sind ja die Feedback-Geber immer so stark motiviert, dass sie Verkaufsstelle und Kontrollnummer in jedem Fall eintragen? Dann wäre das ganze Projekt für die Katz’, und das würden wir gern vorher wissen.
Es lohnt sich also, das Potenzial eines Projektes vorher abzuschätzen. Und manchmal kann man dazu schnelle Experimente machen, die belastbare Daten statt Annahmen liefern.
Matthias Berth