Ganz früher bekam man bei Amazon den jeweils neuesten Band von Harry Potter als Empfehlung zu jedem Buch angeboten, das man sich gerade angesehen hat. Ich nehme mal an, da war ein ganz einfacher Empfehlungs-Algorithmus am Werk: empfehle das, was sich gerade am besten verkauft. Nach der simplen Metrik “Umsatz mit empfohlenen Artikeln” schneidet dieses Verfahren wahrscheinlich auch ganz gut ab. In den letzten Jahren hat Amazon die Empfehlungen kontinuierlich verbessert, trotzdem ist es noch nicht perfekt.
In der Produktentwicklung ist das allgemein üblich: ein Feature wird zunächst in eher primitiver Form auf den Markt gebracht. Im Laufe mehrerer Produktgenerationen wird es immer weiter ausgebaut, geleitet durch das Feedback vom Markt.
Im Laufe eines Projekts kann man dieselbe Strategie nutzen: Features so strukturieren, dass wir zunächst nur einen Bruchteil des Aufwands ausgeben, und dennoch schon einen Teil des Nutzens realisieren können. Wenn es später eng wird, können wir den Scope reduzieren, indem wir eben nur “das halbe Feature” ausliefern.
Im gestrigen Beispiel hatte ich zwei Minimal-Ausbaustufen für ein Feature “Produktempfehlungen” vorgeschlagen:
Ich würde beide als “Ausbaustufe 0” ausliefern, damit wir so früh wie möglich den Nutzen messen können.
Wie könnten die nächsten Ausbaustufen aussehen? Dazu sehen wir uns an, nach welchen Verfahren man Empfehlungen machen kann:
Jedes Verfahren aus dieser Liste könnte eine separate Ausbaustufe werden. Die “Ausbaustufe 1” hat dann ein Verfahren, “Ausbaustufe 2” hat zwei, zusammen mit einer Regel, wie die beiden Verfahren zu kombinieren sind.
In welcher Reihenfolge sollen wir die einzelnen Verfahren umsetzen? Statt umständlich das Potenzial und den Aufwand für jedes Verfahren abzuschätzen, würde ich ganz naiv herangehen und sagen: “Wir wissen bei einigen Verfahren sowieso nicht, wie lange es dauert, weil man sie beliebig ausbauen kann. Auch das Potenzial eines Verfahrens können wir eigentlich erst sehen, wenn wir es umgesetzt haben. Daher nehmen wir uns für jedes Verfahren maximal eine Woche Zeit und arbeiten sie reihum ab.” Dann fangen wir mit dem Verfahren an, das wir garantiert in einer Woche vollständig erledigt haben: Bestseller. Wenn wir alle Verfahren einmal implementiert haben, sehen wir wesentlich klarer, wo sich weitere Anstrengungen lohnen könnten. (Wir machen also Reihenfolgeplanung nach dem Rundlauf-Verfahren, englisch Round-Robin)
Wie gesagt, jede Ausbaustufe geht in den Produktivbetrieb und erzeugt dort Nutzen und Feedback für die Weiterentwicklung. So realisieren wir nicht nur den maximalen Nutzen im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen des Projekts. Wir verschieben den Fokus auch von “Eine Wunschliste abarbeiten” hin zu “Möglichst viele möglichst kostengünstige Experimente machen”, was auch über das Projekt hinaus sehr sinnvoll ist.
Matthias Berth